Sanitätsdienst

Der deutsche Sanitätsdienst

 Im Jahr 1907 wurde durch das preußische Kriegsministerium eine neue Kriegs-Sanitätsordnung (kurz: K.S.O.) erlassen. In diesem umfassenden Regelwerk ist die Struktur und Organisation sowie die Durchführung der sanitätsdienstlichen Vorgehensweise und Betreuung erkrankter oder verwundeter Soldaten im Kriegsfall festgelegt. 

Die Grundlage der K.S.O. bildeten die Reichseinigungskriege ab 1864 und zuletzt der schnelle Sieg gegen Frankreich 1870/71 und war somit auf eine Kriegsführung mit Stellungskrieg und Massenheeren, wie sie sich 1914 bis 1918 entwickelte, nicht ausgerichtet. Mahnende Stimmen, die die neuartigen Wunden und Verwundungsbilder durch moderne Waffen des russisch-japanischen Krieges 1904/05 hervorhoben, wurden ignoriert. 

Die Annahmen gingen von Ausfallraten von 20 % Kriegstoter aus. Dier Schätzungen gingen davon aus, dass 80 % der Verluste durch moderne Infanteriegewehre und nur 15 % der durch Artilleriewaffen erfolgen würden. Außerdem wurde von einer hohen Anzahl leicht Verwundeter ausgegangen, deren Behandlungsdauer weniger lange in Anspruch nehmen würde. 

Dementsprechend knapp, und wie sich schnell herausstellte auch völlig unzureichend kalkuliert, waren zu Kriegsbeginn 1914 die Versorgungskapazitäten der Sanitätskompanien. 

Ernst Jünger am 26. April 1915

 Nach einer am Vortag erlittenen Verwundung am Oberschenkel: 

„… nun beeilten sich die Krankenträger, zuzufassen und trugen mich an ins Gefecht eilende Truppen vorbei, durch Wald. … Nachdem wir einige Zeit auf der Transchée gefahren hatten, kamen wir zum Hauptverbandsplatz. Dort waren eine Menge Ärzte, und sehr viel Verwundete, die durch Strohmatten geschützt waren. Unter offenem Himmel stand ein Operationstisch, der dauernd in Benutzung war. Daneben stand ein Eimer, der von Blut und Fleischfetzen gefüllt war. …“ 

Verwundetentransport durch Hilfskrankenträger
(Quelle: Sanitätsakademie der Bundeswehr) 

Sanitätsdienstliche Versorgung in der Etappe und der Heimat

Gemäß K.S.O. sollte, aufgrund der bekannten Defizite der Versorgung in der Etappe und in der Heimat, die weitere sanitätsdienstliche Verwundetenversorgung durch das Rote Kreuz und konfessionelle Organisationen als freiwillige Krankenpflege organisiert werden. Außerdem sollte so auch der Krankentransport durch Lazarettzüge mit Personal versorgt werden. Die Militärbehörden erhielten zur Organisation und Koordination die Kommandogewalt. 

Die insgesamt sehr optimistischen Einschätzungen wurden nach dem Scheitern des Bewegungskrieges an der Westfront noch im Herbst des ersten Kriegsjahres durch rapide steigende Verlust- und Verwundetenzahlen und die sehr komplexen Verletzungs-muster schnell wiederlegt. 

Die Verwundeten wurden von den frontnahen Feldlazaretten nach einer Erstversorgung in Sonderlazarette (Gasverletzungen, Infektionskrankheiten usw.) hinter die Front in die Etappe verlegt. Im Heimatgebiet wurden verschiedene Reserve-, Festungs- und Genesungslazarette betrieben, die auch der teilweise langdauernden Rehabilitation dienten. Das Pflegepersonal wurde hier durch meist unzureichende Kurzschulungen ausgebildet. 

Ein Lazarettzug

 Beschreibung eines Lazarettzugs aus der 1917 als anonyme Flugschrift veröffentlichten Novelle „Die Kriegskrüppel“  von Leonhard Frank: 

 „Zweiundzwanzig“, sagt das Kind, das an der Landstraßenschranke steht und dem Zuge nachsieht. Es sind nur zwanzig Wagen; das Kind hat die Lokomotive und den Tender mitgezählt. In jedem Wagen zwanzig Kranke, langgestreckt und unbeweglich in den übereinander befestigten Betten. 

Die Blinden stehen im Laufgang an den Fenstern und schauen hinaus in die wunderbare, schimmernde Herbstlandschaft. 

Sie fühlen die Sonne und sehen die Finsternis. 

Die Irrsinnigen sind beisammen in einem Wagen. Eine Bank an den vier Wänden entlang. Genügend viel Sitzplätze. 

Aber alle Irren hocken am Boden, in einem dreifachen Kreise, und lachen, lächeln, schwätzen, schweigen, schütteln schlau den Kopf. Nur einer steht. Er betrachtet die Wand. Er betrachtet seit sechzig Stunden die Wand. Im Wagen hinter dem Tender ist die Apotheke und das Operationszimmer, mit dem Zinkblechtisch in der Mitte. Im vorletzten Wagen schlafen die Sanitätssoldaten. Im letzten Wagen des Zugs liegen die, die während der Reise verendet sind. Der letzte Wagen füllt sich allmählich. 

Quelle: Deutsches Ärzteblatt Jg. 111, Heft 9 (25. April 2014), Heft 42 (10. Okt. 2014) und Jg. 112, Heft 9 (27. Februar 2015).

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