Ein „bürgerlicher“ Arbeiterrat
Der am 12. November gebildete Arbeiter- und Soldatenrat setzte sich aus acht Personen zusammen: drei Kaufleuten, einem Handwerksmeister, einem Bahnbeamten, einem Bahnarbeiter und zwei Arbeitern. Die Arbeiterschaft war in diesem Gremium in der Minderheit, die soziale Struktur der Stadt mit der mehrheitlich bürgerlichen Gesellschaft fand sich hier wieder - eine gute Voraussetzung, dass der Arbeiterrat eine „pragmatische“ Linie fahren würde und die bestehende Ordnung nicht ganz über den Haufen werfen würde.
Schon drei Tage später, am 15. November, fand eine zweite, ebenfalls gut besuchte Veranstaltung statt. Der gewählte Arbeiterrat wurde nun um weitere elf Mitglieder erweitert. Es kamen zwei Kaufleute, zwei Gymnasiallehrer, zwei Handwerksmeister, ein Landwirt, der Redakteur der konservativen GGZ und ein Kriegsbeschädigter hinzu … sowie zwei Arbeiter.
Der Arbeiterrat war also kein Organ der Arbeiterschaft. Kein Wunder, denn noch hatte die Arbeiterschaft in Northeim keine Organisationsstrukturen. Northeim war eine Stadt, in der die Industriearbeiterschaft gänzlich fehlte.
Der Arbeiterrat betrachte sich als „Vertretung der jetzigen Regierung in hiesiger Stadt“, wie es in einer Presseerklärung ausgedrückt wurde. Er sah sich als legitimiertes Organ der neuen Reichsregierung, um auf unterster politischer Ebene die Tätigkeit der bestehenden Verwaltung im Sinne der neuen politischen Kräfte zu überwachen.
Mit den ersten demokratischen Wahlen, der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 und den Bürgervorsteherwahlen am 2. März 1919 wurde neben dem Arbeiterrat und der da-hinterstehenden Rätebewegung nun ein anderes, durch demokra-tische Wahlen legitimiertes Verfassungssystem geschaffen … die parlamentarische Demokratie. Sie setzte sich letztendlich durch.
So war auch in Northeim der „bürgerliche“ Arbeiterrat nur ein Übergangsmodell, der sich dann im August 1919 auflöste. Aber er war für einige seiner Mitglieder Sprungbrett für eine politische Karriere als Bürgervorsteher.

Schreiben des Northeimer Arbeiter- und Soldatenrates an den Magistrat mir der Bitte: „den sich bei Ihnen einfinden-den Mitgliedern des A.u.S.R. geflissentliche Unterstützung und Auskunft in allen Angele-genheiten zu geben“. Gerichtet war das Schreiben an den „Wohll.(öblichen) Magistrat der Stadt Northeim“. Das Schreiben nahm die damals üblichen Höflichkeitsfloskeln mit auf. Stadtarchiv Northeim, Fach 249, Nr.79, p.37

Die Bezeichnung des Gremiums änderte sich im Lauf der Zeit. Der obere Stempel war im April und Mai in Gebrauch, der untere bis zur Auflösung.

Die Bezeichnung des Gremiums änderte sich im Lauf der Zeit. Der obere Stempel war im April und Mai in Gebrauch, der untere bis zur Auflösung.

Bei ihren Bekanntmachungen und Verlautbarungen stützten sich die Kreis- und Stadtverwaltung auf die Autorität des Arbeiterrates … und umgekehrt gewann der Arbeiterrat durch die Zusammenarbeit mit der Verwaltung Seriosität in der Stadtgesellschaft. Bekanntmachung zu „Tanzlustbarkeiten“, Northeimer Neueste Nachrichten vom 17.1.1919

Wohlorganisiert stellte sich der Arbeiterrat dar. Aber zu politischer Programmatik kam es kaum und das eigene Handeln beschränkte sich stark auf eine mehr oberflächliche Kon-trolle der Geschäfte der Verwaltung. Zielgerichtete Eingriffe waren selten. Bürgermeister und Landrat - die alte Verwaltung - arrangierten sich schnell mit dem neuen Gremium, das über eine Unterstützung der Stadt- und Kreisverwaltung mit seiner Autorität bei der Bewältigung der Nachkriegsprobleme nicht hinaus kam. Northeimer Neueste Nachrichten vom 21.11.1918

Im August 1919 löste sich der Arbeiterrat auf. Die Tage der Rätebewegung waren auch in Northeim gezählt. Das parlamentarische System hatte sich durchgesetzt. Im Umgang mit der Verteilung seines Restvermögens wird deutlich, dass er nicht revolutionären Strömungen hinterher lief, sondern ganz in die lokale, eher bürgerliche Struktur der Stadt Northeim eingebunden war. Götiinger Grubenhagensche Zeitung vom 18.8.1919
